Prozessoptimierung im Spannungsfeld normativer Anforderungen
Die moderne Prozessoptimierung bewegt sich in einem komplexen Spannungsfeld zwischen normgerechter Dokumentation (ISO/DIN) und der tatsächlichen Arbeitsrealität. Während Zertifizierungsverfahren nach ISO 9001/14001 oder ISO 27001 klare, dokumentierte Idealprozesse verlangen, zeigt die Praxis ein anderes Bild: Workarounds, Störungen und Ausnahmen prägen den Arbeitsalltag.
useEngineer adressiert dieses Spannungsfeld durch einen realitätsnahen Ansatz der Prozessdokumentation, der über klassische PDCA-Zyklen (Plan-Do-Check-Act) hinausgeht. Die Tools useProcessCheck und useProcessMap erfassen nicht nur Idealprozesse, sondern lassen bewusst auch die Dokumentation von Abweichungen und Störungen als integralen Bestandteil der Arbeitsrealität zu.
Theoretische Fundierung: Handlungsregulation meets Prozessmanagement
- Überbrückung verschiedener Denkwelten: useEngineer betrachtet Prozesse nicht nur als technische Abläufe, sondern berücksichtigt die Handlungsregulation der beteiligten Menschen: wie sie planen, ausführen, kontrollieren und regulieren.
- Der klassische PDCA-Zyklus wird mit dem menschzentrierten Handlungsregulationsmodell (Plan-Kontakt-Ausführen-Kontrolle) verbunden.
- Prozess-Atomisierung als Analyse-Instrument: Durch die systematische Aufschlüsselung von Unternehmensprozessen in kleinste, klar abgrenzbare Arbeitsschritte entstehen Prozess-Atome. Diese beschreiben einzelne Handlungen so präzise, dass sie sowohl für Menschen nachvollziehbar als auch für spätere maschinelle Auswertungen geeignet sind.
- Klassifizierung nach Automatisierungsgrad und Kritikalität: Prozessschritte werden systematisch bewertet nach:
- Automatisierungsgrad (automatisch, überwacht, interaktiv, manuell)
- Kritikalität/Risiko (zeitkritisch, sicherheitsrelevant, kostenintensiv)
- Häufigkeit/Belastung (Regelprozesse vs. Sonderfälle)
- Dokumentierte Abweichungen als regulärer Teil des Prozesses
Die KI-Herausforderung: Grenzen automatisierter Prozessoptimierung
Die aktuellen Entwicklungen im Bereich Künstlicher Intelligenz werfen fundamentale Fragen für die Prozessoptimierung auf. Während KI-Systeme in sprachbasierten Anwendungen beeindruckende Ergebnisse erzielen, stoßen sie bei der Prozessoptimierung an strukturelle Grenzen:
- Redundanz vs. Verdichtung: Sprachmodelle (LLMs) leben von Redundanz in Texten und können deshalb im Bereich „Sprache, Texte, Dialoge" so stark wirken. Prozesse sind dagegen stark verdichtet – gut geschnittene Workflows enthalten wenig bis keine Redundanz, was KI schwerer verallgemeinern kann.
- Abstraktionsebenen-Problematik: Automatische Verallgemeinerung funktioniert nur auf sehr hohen, abstrakten Ebenen sinnvoll (z. B. „Informationsfluss"), aber kaum auf der Ebene einzelner, konkreter Tasks. Genau hier liegen aber die entscheidenden Usability-Probleme.
- Das Workaround-Dilemma: Workarounds und Störungen sind die Regel in der Praxis und müssen in Systemen dokumentiert werden. KI-Modelle tun sich schwer damit, weil sie Abweichungen eher „glätten" statt ernsthaft zu berücksichtigen. Sie tendieren dazu, Ausnahmen zu normalisieren anstatt ihre Bedeutung für die Arbeitsrealität zu verstehen.
Risiken KI-gestützter Prozessanalyse
- Scheingenauigkeit durch Kennzahlen: Die eigentliche Schwierigkeit liegt darin, geeignete Metriken für Usability und Prozessqualität zu definieren. Clusteranalysen können helfen, Muster zu finden – können aber auch Scheingenauigkeit erzeugen oder sogar falsche Korrelationen hervorbringen.
- Verlust der Ausnahme-Logiken: KI-optimierte Systeme machen Abweichungen oft „unsichtbar", indem sie sie in statistische Normalverteilungen einordnen. Damit gehen aber gerade die Informationen verloren, die für die Prozessoptimierung entscheidend sind: die Kontexte und „Ausnahme-Logiken", die nur Menschen wirklich nachvollziehen können.
Mensch-Maschine-Systeme: Das Paradox der Halbautomatisierung
Moderne Prozessoptimierung führt zu einer charakteristischen Form der Halbautomatisierung, die neue Herausforderungen schafft:
- Computer-Unterstützung verschiebt Komplexität: Standardisierte Prozesse laufen computer-gestützt sehr gut. Computer-Unterstützung reduziert zwar Routinefehler, verschiebt aber komplexere Entscheidungen auf Menschen – diese Eingriffe werden seltener, aber anspruchsvoller.
- Folgen für Arbeitspersonen:
- Eingriffe sind seltener, aber komplexer,
- erfordern mehr Urteilskraft und systemisches Verständnis,
- erhöhen die Anforderungen an Organisation und Einzelne, weil aus der Vielzahl möglicher Handlungen adäquate Entscheidungen abgeleitet werden müssen
- Das ERP-System-Beispiel: Auch große ERP-Systeme wie SAP stoßen genau hier an Grenzen – standardisierte Prozesse laufen gut, aber sobald reale Störungen, Ausnahmen oder Workarounds auftreten, entstehen Engpässe. Genau diese nicht-normierten Abläufe sind schwer algorithmisch abzubilden und aktuell auch für KI kaum „lernbar".
Konsequenzen für Usability-Engineering und Prozessgestaltung
- Steigende Herausforderung der Beherrschbarkeit: Computer-Unterstützung optimiert Prozesse im Regelbetrieb, verschiebt aber die „schwierigen Fälle" an Menschen – und diese Fälle sind oft die entscheidenden (Störungen, Workarounds, unvorhersehbare Kontexte). Damit steigt die Herausforderung für Usability-Engineering und Prozessgestaltung: Wie bleiben solche Systeme beherrschbar, ohne Überforderung zu erzeugen?
- Realitätsnahe vs. normative Dokumentation: Klassische Prozessdokumentationen (PDCA, QS-Normen, ISO 9001/14001) dokumentieren Idealprozesse plus Notfallkonzepte. Sie lassen sich gut computer-gestützt verwalten und erzeugen eine Art „Halbautomatisierung": Der Computer überwacht, signalisiert, strukturiert – und der Mensch greift bei Abweichungen ein.
Die useEngineer-Tools setzen nicht nur beim Idealprozess an, sondern bilden eine realitätsnahe Prozessdokumentation, die über klassische PDCA-/ISO-Ansätze hinausgeht. Damit liefern sie eine ehrlichere Datengrundlage als KI-optimierte Systeme, die Abweichungen „unsichtbar" machen.
Die Rolle von KI: Unterstützung statt Ersatz
KI kann in der Prozessoptimierung durchaus einen wertvollen Beitrag leisten – aber nur als Ergänzung, nicht als Ersatz für menschliche Urteilskraft:
- Sinnvolle KI-Einsatzfelder:
- Clusteranalysen zur Mustererkennung,
- Anomalie-Erkennung bei Prozessabweichungen,
- Statistische Auswertung großer Datenmengen,
- Visualisierung komplexer Prozesszusammenhänge.
- KI-kritische Bereiche:
- Bewertung von Kontexten und Ausnahme-Situationen,
- Entscheidungen bei unvollständiger Information,
- Kreative Problemlösung bei Workarounds,
- Ethische und soziale Bewertung von Prozessänderungen.
Die zentrale Erkenntnis bleibt beim Menschen – weil nur dieser die Kontexte und „Ausnahme-Logiken" wirklich nachvollziehen kann. KI darf nicht den Eindruck erwecken, dass sie das komplexe Urteil der Arbeitspersonen ersetzen könnte.
Die Tools von useEngineer als Brückenbauer zwischen Welten
Es wird das das Beste aus verschiedenen Welten kombiniert:
- Normgerechte Dokumentation für Zertifizierungen (ISO/DIN).
- Realitätsnahe Erfassung von Abweichungen und Workarounds.
- Menschzentrierte Handlungsregulation statt rein technischer Prozesssicht.
- Vorbereitung für KI-Einsatz ohne KI-Abhängigkeit.
So entsteht ein ehrlicheres Bild der Organisation: Qualität wird sichtbar, Schwachstellen identifiziert, und Verbesserungspotenzial freigelegt – ohne die Illusion, dass Automatisierung alle Probleme lösen könnte.
Fundament für hybride Mensch-KI-Zusammenarbeit
Das useEngineer-Konzept dient zugleich als Fundament für eine hybride Zusammenarbeit zwischen Mensch, Maschine und KI. Menschliche Kreativität und Bewertungskompetenz werden dabei mit maschineller Datenanalyse und Optimierungsvorschlägen kombiniert – aber die finale Entscheidungshoheit und Verantwortung bleibt beim Menschen.
Diese Herangehensweise ist nicht nur methodisch solider, sondern auch ethisch verantwortlicher: Sie respektiert die Grenzen der Automatisierung und stärkt die Rolle des Menschen als denkendem, urteilsfähigem Akteur in komplexen Arbeitssystemen.
Ausblick: Nachhaltige Prozessoptimierung in der KI-Ära
Die Zukunft der Prozessoptimierung liegt nicht in der vollständigen Automatisierung, sondern in der intelligenten Kombination menschlicher und maschineller Fähigkeiten. useEngineer schafft dafür die methodischen und technischen Voraussetzungen:
- Transparente Prozessdokumentation als Basis für informierte Entscheidungen.
- Bewahrung menschlicher Handlungsautonomie auch in automatisierten Umgebungen.
- Vorbereitung auf KI-Integration ohne Verlust der menschlichen Kontrolle.
- Nachhaltiger Umgang mit Prozess-Know-how der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.
So wird Prozessoptimierung zu einem Instrument der digitalen Souveränität: Organisationen behalten die Kontrolle über ihre Abläufe und können bewusst entscheiden, wo Automatisierung sinnvoll ist und wo menschliche Intelligenz unverzichtbar bleibt.